#einsatzziehtaus | ghosting
»Aus den Augen ist nur aus dem eigenen Sinn.«
Dieser Satz stammt aus meinem Buch »unfairbindlich?«. Es ist ein Auszug aus dem Glossar und meine Gedanken zum Thema »Ghosting«.
»Ghosting« beschreibt den Umstand, dass aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung jeder Versuch einer Kontaktaufnahme ignoriert wird. Es ist so, als wäre der andere urplötzlich vom Planeten verschwunden. Allerdings wird es mehr und mehr zu einem Modewort und zieht nicht selten in die ersten eigenen vier Wände der Generation Z ein. Als gut gemeinter Tipp der besten Freundin oder des besten Freundes, um sich bequem eines nervenden Verehrers (oder einer Verehrerin) zu entledigen.
Und genau da liegt der Unterschied. Es ist zwar nicht die mutigste Reaktion, die Versuche der Verehrer*innen zu ignorieren, anstatt ihnen zu sagen, dass man kein Interesse hat. Ich finde es auch nicht gut. Am anderen Ende der Leitung ist ein Mensch aus Fleisch und Blut. Aus Gedanken und ganz viel Emotionen. Jeder hat ein ehrliches Statement verdient. Aber solange man in keinerlei Beziehung zu ihnen steht, sie womöglich gar nicht oder nur flüchtig persönlich kennt, finde ich es nicht dramatisch. Habe ich auch öfter erlebt und wie gesagt, zimperlich darf man beim Onlinedating nicht sein. Unter diesen Umständen würde ich aber nicht von Ghosting sprechen.
Das gibt es in viel extremerer Form. Bei flüchtigeren Affären bis hin zu Paarbeziehungen. Man trennt sich nicht. Man verschwindet. Wortlos. Ohne die kleinste Erklärung. Ohne erkennbaren Grund. Aus dem scheinbaren Nichts. Jede Verbindung, jede Möglichkeit der Kontaktaufnahme wird ausgelöscht oder ignoriert.
Damit stürzt man den anderen meist in ein Gefühlschaos, das traumatische Ausmaße annehmen kann. Denn man entzieht ihm damit die Chance, auf normalem Weg eine Trennung zu verarbeiten. Der Betroffene muss schon über ein übermenschliches Selbstbewusstsein verfügen, um in solch einer Situation nicht in Selbstzweifeln zu ertrinken. Das Vertrauen in sich selbst und die Welt wird stark erschüttert. Kopf und Herz taumeln im Schwindel.
Doch ist das ein neues Phänomen? Ist es nicht genau das, was wir früher so lapidar mit »Der ist mal eben Zigaretten holen« bezeichnet haben?
Neu sind die Grautöne. Viele Trennungen werden heute anders gelebt und praktiziert. Als ich Teenie oder Anfang 20 war, galt es als normal, mit jemandem persönlich »Schluss« zu machen. Wir trafen uns mit unserem Freund oder unserer Freundin, unserem Flirt oder unserer Affäre und erklärten, warum wir nicht mehr wollten. Wir sprachen darüber und versuchten, die hilflosen Fragen zu beantworten. Es war völlig klar, dass unser Gegenüber eine Erklärung verdiente. Dass wir sie ihm oder ihr schuldeten. Aus Respekt. Aus Anstand. Es war völlig klar, dass wir selber diese unangenehme Situation aushalten mussten. Servierten wir jemanden am Telefon ab, war das schon sehr arschig. Heute können wir fast froh sein, wenn wir überhaupt informiert werden, und sei es nur per Textnachricht. Bei Paarbeziehungen ist das noch die Ausnahme. Hoffentlich bleibt das auch so.
Schön sind Trennungen nie. Einfach auch nicht. Aber die Gefühle, die sie bei uns auslösen, gehören dazu. Der Schmerz ist für den anderen meist unausweichlich. Er bleibt nicht aus, nur weil wir selber durch Abwesenheit glänzen und ihn somit nicht sehen. Aus den Augen ist nur aus dem eigenen Sinn. Da können wir uns noch so sehr ein- und schönreden, dass wir aus Rücksicht schweigen.