hochsensitiv | »Stille«
Die Bässe verlieren sich nur langsam in der Weite der drei Etagen. Meine Hände umfassen die Kaffeetasse, sie spüren deutlich das monotone Dröhnen. Die zahlreichen Songs vermischen sich mit den molllastigen Klängen des Cafés, in dem ich sitze, zu einem schrillen Lärm und bohren sich langsam in meinen Kopf. Shit – es geht los.
Ich schaue auf und sehe vor mir zwei Mädchen, kichernd aus New Yorker kommen, zwei Tüten voller Teenieträume in der Hand. Das Paar um die 60, an meinem Nachbartisch, redet aneinander vorbei. Ich spüre seine Langeweile, höre ihre Vorwürfe und weiß, dass ihre Worte wenig mit dem Zutun haben, was sie tief im Inneren schmerzt. Ich drehe den Kopf, will entrinnen.
Dort sitzt ein Date, ganz sicher. Er redet von seiner Arbeit, ausschweifend, fragt wenig. Sie hört zu, mehr höflich als interessiert. Sie berührt den Tisch nicht, zeigt ihren innerlichen Abstand. Mein Blick trifft die Kellnerin, die mit rotem Kopf die Extrawünsche eines älteren Mannes versucht, zu erfüllen.
Mein Kopf pocht immer mehr, meine Augen wollen sich schließen, meine Ohren weghören, mein Bauch will die Stimmungen ignorieren. Ich schaffe es nicht. Eine blonde Frau streift meinen Tisch. Ihr Handy am Ohr, die Designertasche über dem Arm, verteilt sie schroffe Worte und ein süßliches Parfum. Es trifft mit voller Wucht meine Nase und dringt in mich ein. Mir wird übel. Hinter mir schreit ein Baby. 120 Db inbrünstige Not. Meine Ohren ziehen sich im Inneren zusammen, alles wird eine Spur leiser. Zu wenig.
Zu viele Sinneseindrücke vereinigen sich in meinem Kopf zu einem dicken Brei. Verdichten ihn. Verstopfen ihn. Lähmen ihn. Es ist zu viel, von allem zu viel. Mein Herz rast. Ich schwitze. Fühle mich wie angetrunken – nur ohne Spaß. Ich brauche Stille. Dringend. Abrupt stehe ich auf und suche die Toilette.
Noch 30 Meter. ... 2. Hinter mir fällt die Tür ins Schloss. Endlich. Ich atme tief ein. Wo eben noch Getöse war, pulsiert mein Hirn im Rhythmus meines Herzens. Übrig bleibt Erschöpfung, Leere. Ich bin müde. So müde.