#shortstorytime | «die alte senkte kopf und stimme«

Die Alte senkte Kopf und Stimme. Im flackernden Kerzenschein konnte Noky ihre gegerbte Haut erkennen. Ein braunes, durchfurchtes Gesicht voller Geschichte. Mit zitternden Bewegungen suchte ihre knochige Hand Nokys Wangen. Konzentriert nahm sie sie in ihre Hand, die trüben Augen geschlossen und schien in einer fernen Welt.

»Du hast es auch in dir. Ich kann es fühlen. Sei auf der Hut«, flüsterte sie kaum hörbar.

»Aber was denn? Und warum soll ich auf der Hut sein?«, entgegnete Noky, lauter als beabsichtigt.

Sie konnte es nicht mehr hören. Keiner sagte ihr irgendwas Genaues. Sie wusste nur, dass er plötzlich verschwunden war. Die Leute im Dorf schauten sie irritiert an, wichen ihr aus, seit sie wieder da war. Sie ähnelte ihm. Wohl nicht nur äußerlich, so viel hatte sie herausbekommen. Aber nur, weil der Schmied so geschwätzig war und sie gelauscht hatte, als er, voll wie ein Eimer, angeben wollte.

»Er hatte keine Wahl, Noky. Sie trieben ihn aus dem Dorf. Angst lässt Menschen zu Monstern werden. Ich höre sie wie damals. Mit Fackeln und Mistgabeln standen sie vor seinem Haus. Riefen, schrien - der Wahn stand in ihren Augen und tropfte aus ihren Mündern. Deine Großmutter kam heraus, stellte sich ihnen entgegen, während dein Großvater durch die Hintertür floh. Sie war eine mutige Frau, doch der Mopp war blind und getrieben und so gewann dein Großvater nur wenige Minuten. Er floh Richtung Moor, die Meute im Nacken. Doch sie fanden ihn nicht. Seit dieser Nacht ward er nie mehr gesehen. Sie sagen, das Moor hätte ihn geholt, ihn ins Innere gelockt durch die flackernden Lichter der Seelen, die es bewohnen. Gerechtigkeit gesprochen. Diese Narren.«

»Ich verstehe das alles nicht. Wovor hatten sie denn solche Angst?«

»Du wirst es erfahren, hab Geduld, Noki. Alles hat seine Zeit - er lebt, ich spüre es.«

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